„Kommen eigentlich auch Leute nach Spremberg, die hier keine Verwandten haben?“ – Anni, eine Berliner „Göre“, stolze 13, besucht ihre Großeltern in Weskow bei Spremberg. Ich kenne sie seit ihrer Geburt, sie ist die Tochter meiner Freundin und gehört damit zur Familie. Wann immer sie hier ist, versuchen wir, Zeit miteinander zu verbringen. „Also gibt es hier irgendwas für Touristen?“, schiebt Anni nach. Um Zeit zu gewinnen, nehme ich nochmal einen extra großen Happen von der Gemüseboulette mit Erbsenpüree und kaue sehr konzentriert. Wir sitzen im „Schmackofatz“ in der Dresdener Straße und essen das vegane Tagesangebot. „Ja klar kommen Leute extra nach Spremberg.“ Anni bleibt skeptisch. „Aber warum?“ Ok – Herausforderung angenommen!
Fangen wir bei der Umgebung an: wunderschöne Wälder und Wiesen – direkt am Spremberger Stausee. Hierher zieht es viele Besucher, nicht nur Radtouristen, die auf den gut ausgebauten Radwanderwegen die Region erkunden. Urlauber aus Sachsen, Berlin, aus Polen und Tschechien schlagen ihre Zelte am „SpreeCamp“ in Bagenz auf. Die Lage ist perfekt. Die großen Grillplätze kann man mieten, was wir mehr als ein Mal gemacht haben. Der breite Steg führt je nach Wasserstand weit auf den Stausee hinaus, auf dem Segelboote, Kanus und Angelkähne schippern. Auf der überdachten Aussichtsplattform lässt es sich mit Blick auf die Staumauer gut ausruhen. Wohl kaum ein Kind aus der Gegend, das nicht schon über den Spielplatz in Bagenz getobt ist. Vor gut 20 Jahren hat Annis Mama meine Tochter regelmäßig mit zu Ausflügen hierher genommen. Es gibt Fotos auf dem großen Holzpferd und auf der Rutsche. Am anderen Stauseeufer, auf der „Cottbuser Seite“, gibt es ebenfalls ein „SpreeCamp“, einen tollen Spielplatz, einen Aussichtsturm und nicht weit entfernt die beliebte Minigolfanlage. Anni nickt. „Ja gut, Talsperre ist klar. Aber was könnten sich Fremde hier noch ansehen?“
Wer sich für Geschichte interessiert, betrachtet den Gedenkstein, der daran erinnert, dass Spremberg in der Zeit von 1871 bis 1920 geografischer Mittelpunkt des Deutschen Reiches war. Wir haben ein Schloss, dessen Geschichte bis ins Mittelalter zurück reicht und das heute die Bibliothek, das Niederlausitzer Heidemuseum und die Kunst- und Musikschule beherbergt. Von dort aus ist es nicht weit bis zum Stadtpark auf dem Georgenberg. Dort steht der Bismarckturm, den Anni beim nächsten Besuch in Spremberg mit mir erklimmen muss. In unmittelbarer Nachbarschaft gibt es die Freilichtbühne. „Ich weiß“, sagt die junge Berlinerin. Langweile ich sie etwa? Egal – sie hat es nicht anders gewollt. Also die Freilichtbühne! Neu errichtet steht sie an der Stelle, an der schon Mitte der 1950er Jahre die Bürger der Stadt eine Freilichtbühne gebaut hatten. Bis zu 3.500 Zuschauer können dem Treiben auf der heute überdachten Bühne zuschauen: Konzerte, Theater, Kabarett, Partys, Filme unterm Sternenhimmel …
Apropos Filme. In unserem Spreekino laufen Blockbuster ebenso wie cineastische Raritäten und: Hier gibt es das beste Popcorn. Das weiß selbst Anni und da sind wir uns einig. Kaum ein Besuch von ihr, in dem wir das nicht probiert haben. Außerdem hat sich unser Kino dank neuer Bühne und ausgebautem Foyer-Café längst zum Kulturzentrum mit Musik, Theater und Kabarett entwickelt. Die erste Bewährungsprobe wurde im September letzten Jahres beim „Spree Kino Fest“ mit Bravour gemeistert. Jetzt hoffen alle auf eine baldige Fortsetzung.
Eine Bühne für Kunst und Kultur ist auch das Schloss Hornow. Ein engagierter Kreis kulturinteressierter Lausitzer – der Verein „Wir lassen die KULTUR im DORF HORNOW“ – hat dem geschichtsträchtigen Gemäuer neues Leben eingehaucht. Die herrschaftlichen Räume und die beeindruckende Außenanlage sind geradezu prädestiniert für Lesungen, Konzerte, Theater, Filmabende, Schlossführungen, Trauungen und Empfänge. Aber es gibt noch viel mehr in Hornow: die historische Kirche oder den Hof samt Laden und Backstube der Familie Dörry. Die setzt auf die biologische Bewirtschaftung ihrer Flächen und vermarktet ihre Produkte direkt auf Märkten (auch in Cottbus) oder eben im Hofladen. Berühmt ist Hornow für seine süßen Köstlichkeiten: dank Goedele Matthyssen und Peter Bienstman. Das Ehepaar aus Belgien hat in dem Spremberger Ortsteil im Laufe der vergangenen 30 Jahre ein „SchokoLadenLand“ erschaffen. 75 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt die Confiserie Felicitas und hat schon Filialen in Potsdam und Dresden. Um die feine Schokolade zu probieren, in der Schauwerkstatt selbst zu gestalten und zu kaufen, kommen Besucher aus allen Teilen Deutschlands und den Nachbarländern. Anni nickt wissend. Natürlich war auch sie schon im SchokoLadenLand. Langsam scheint sie ihre Frage zu bereuen. Denn ich bin noch lange nicht fertig und weiß ganz genau, dass ich nur einen Bruchteil der Gründe aufzähle, für die es Spremberg und die 14 Ortsteile zu besuchen lohnt.
Zwangsläufig kommt man zu Strittmatter. Das Gymnasium und eine Promenade tragen den Namen des berühmten Schriftstellers. „In der Karl-Marx-Straße erinnert eine Gedenktafel an sein Geburtshaus, das 1945 zerstört wurde“, erzählt Hagen Rittel, der als Nachtwächter Kulke unzählige Einheimische und Touristen durch Spremberg geführt hat. Der Erwin-Strittmatter-Verein engagiert sich dafür, das Andenken an den berühmten Sohn der Stadt lebendig zu halten. In Bohsdorf kann der aus der Romantrilogie berühmt gewordene „Laden“ mit vielen originalen Alltagsgegenständen besucht werden. Dort haben die Strittmatters den Dorfladen samt Bäckerei bis 1949 geführt. Im Sommer 2021 wurden Erwin und seine Familie wieder „zum Leben erweckt“: Der Cottbuser Schauspieler Michael Becker verkörperte den geliebten Großvater „Matthäus Kulka“. Aufgeführt wurde das Theaterstück der Neuen Bühne Senftenberg „Ganz anders wer: Erwin Strittmatter“ im Laden und im Garten in Bohsdorf. Sollte es eine Neuauflage geben, werde ich Anni mit in die Vorstellung nehmen.
Wenn wir schon dabei sind: Für mich wird es höchste Zeit, endlich das Romy-Schneider-Museum in Klein Loitz zu besuchen. Im dortigen Schloss hat Ariane Rykov gemeinsam mit ihrem Mann Uwe Marcus Rykov der wunderbaren Schauspielerin ein Denkmal gesetzt. Zwar gibt es andernorts kleinere Ausstellungen, die sich dem Leben der „Sissi“-Darstellerin widmen, dieses Museum ihr zu Ehren ist jedoch einzigartig. Und ja – um Exponate wie Möbel und Kostüme, Fotos und Briefe zu sehen, besuchen Menschen aus anderen Regionen Klein Loitz.
Zu Ann-Kristin Petzak kommen sie aus der ganzen Welt. Auf ihrem Lebenshof für Menschen und Tiere in Bloischdorf dürfen Hühner, Esel, Schweine, Kühe, Enten, Katzen, Hunde und viele mehr einfach nur – sein. „Jedes Lebewesen hat es verdient, dass es ihm gut geht und mir gibt das Erfüllung“, sagt die anpackende Frau, die, begleitet von ihren Ziegen über das riesige Grundstück stapft, um die Pferde, die Esel und das Schaf auf die Nachbarkoppel zu bringen. Jeden möglichen Cent gibt sie für die fast 20 Vierbeiner und 55 gefiederten Gefährten aus und es kommt einiges an Kosten für Futter, Stroh, Wasser, Strom, Tierarzt, Baumaterial zusammen. Zu jedem Tier weiß Ann-Kristin Petzak eine Geschichte und für viele ist der Hof die Rettung. „Ich würde mich gern mit Menschen austauschen, die so wie ich daran glauben, dass Tiere in unserer Obhut das Recht auf ihr Leben haben und nicht nur auf einen Nutzen für uns reduziert werden.“ Interessierte und tierbegeisterte Reisende finden sie über die Plattform www.workaway.info. Bei freier Kost und Logis helfen sie nach ihren Fähigkeiten auf dem Hof mit. Manche bleiben für einige Tage, andere mehrere Wochen. „Dieser Kulturaustausch ist eine Bereicherung. Die Hilfe können wir ebenso gut gebrauchen.“ Der Lebenshof ist auch auf Instagram: „farm without_borders“.
Einer von vielen engagierten Vereinen ist der MC Spremberg e.V., dessen Herz u.a. für Oldtimer schlägt. Alle drei Jahre organisiert der Verein gemeinsam mit dem MC Lübbenau eine Lausitz Classic Tour. Die musste in den vergangenen zwei Corona-Jahren wie so vieles ausfallen. „Diesmal klappt es hoffentlich – vom 7. bis 10. Juli dieses Jahres“, gibt sich der Vorstandsvorsitzende Dr. Jürgen Hübner optimistisch. Immer am letzten Sonntag im Februar und am vorletzen Wochenende im Juli finden außerdem die beliebten Teilemärkte statt. „Letzterer ist verbunden mit einem großen Oldtimertreffen, zu dem auch Enthusiasten aus Polen, Tschechien und manchmal sogar aus Russland anreisen.“ Für Liebhaber von Oldtimern und Fans von Handgemachtem ist auch das „Gleis 19“ in Schwarze Pumpe ein beliebter Treffpunkt geworden. Verantwortlich dafür ist Holger Schwarz, der als unübersehbares Markenzeichen einen alten S-Bahn-Waggon auf seinem Gelände zu stehen hat. Neben den Oldtimern bereitet er mit den Handwerkermärkten regelmäßig Händlern eine Plattform – dafür lohnt es, in den Spremberger Ortsteil Schwarze Pumpe zu kommen.
Oldtimer der etwas anderen Art gibt es in Muckrow. Im Gartenbaubetrieb Golnik wachsen neben unzähligen Blumen, Bäumen, Sträuchern, Gemüsepflanzen und vielem mehr … Palmen. Einige von ihnen hat Ulrich Golnik, der das Familienunternehmen vor einiger Zeit an seinen Sohn Christian übergeben hat, schon zu DDR-Zeiten gepflegt. Mit vielen verbindet er eine Erinnerung: Die Trachycarpus, eine asiatische Hanfpalme, hatte er seiner Frau Bettina vor 40 Jahren zum 1. Hochzeitstag geschenkt. Gehalten haben beide: die Pflanze und die Ehe. Das mit Abstand älteste Gewächs bei Golniks ist aber ein Olivenbaum, der sicher 400, vielleicht schon 500 Jahre alt ist. „Und er trägt immer noch Früchte“, sagt Ulrich Golnik. Ebenfalls im Dörfchen Muckrow kann auch Ronny Stiller (zu finden auf Facebook bzw. Instagram: maria_und_terratorium) auf Exoten verweisen: auf Königspyhtons. Mit seinen Reptilien hat sich der erfolgreiche Schlangenzüchter weltweit einen Namen gemacht. Anni schaut skeptisch. Gut, Schlangen sind nicht jedermanns Sache. Mülltonnen übrigens auch nicht. Und trotzdem wird ihnen im Nachbardorf Sellessen eine kuriose Veranstaltung gewidmet. Nach der erfolgreichen Premiere des 1. Lausitzer Mülltonnenrennens 2019 soll es am 21. Mai dieses Jahres die Fortsetzung geben. „Auf die Tonne, fertig, los“ lautet der Schlachtruf. Ein „Schieber“ rollt eine leere Mülltonne einen Berg hinauf und übergibt sie dem „Fahrer“, der sich mit Inlineskatern auf die Tonne wirft und den Berg wieder runter rast. Anni lehnt dankend ab, als ich sie frage, ob sie das mal probieren möchte. Aber zuschauen will sie schon. Dass Sellessen noch viel mehr zu bieten hat, wurde beim jüngsten Kreiswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ bestätigt. Da hat sich der Spremberger Ortsteil gegen sechs Mitbewerber aus dem Landkreis Spree-Neiße durchgesetzt und neben 10.000 Euro Siegerprämie für den Landeswettbewerb qualifiziert.
Die leckere Gemüseboulette im „Schmackofatz“ ist verputzt, Anni ist satt, auch von meinem Vortrag. Immer wieder kommen hungrige Kunden in den stilvoll eingerichteten Laden, loben das tolle Essen und bedanken sich sogar für die vegane Küche. Mitten in der Pandemie hat die passionierte Köchin Jördis Grieser ihren Laden eröffnet. „Mithilfe meiner Familie und meiner Freunde konnte ich mir meinen Traum erfüllen. Ich bin immer noch begeistert, dass meine Art zu kochen so gut ankommt“, sagt sie. Weil man schmeckt und sieht, dass sie das mit Liebe macht, hat sich schnell ein fester Kundenstamm gebildet und ihre klassischen und veganen Caterings sind über die Stadtgrenzen hinaus nachgefragt.
„Ich habe es begriffen“, zieht Anni die Notbremse. Und ich freue mich jetzt schon auf ihren nächsten Besuch – wir haben einiges vor im schönen Spremberg.
Weitere Informationen:
SKK Spremberger Kino und Kultur GmbH, Touristinformation: 03563 5900656